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Ist Leinenführigkeit nur Technik?

  • Autorenbild: Lisa Aust
    Lisa Aust
  • 27. Mai
  • 6 Min. Lesezeit

Wie Emotionen die Technik erst möglich machen


„Der macht das ja nur fürs Leckerli.“

Ein Satz, den viele von uns kennen – und der, obwohl scheinbar harmlos gemeint, oft ganz schön trifft. Da trainierst du freundlich, baust Leinenführigkeit mit Belohnung und guter Laune auf, hilfst deinem Hund mit kleinen klaren Schritten – und dann kommt dieser Kommentar.

Und plötzlich klingt es so, als wäre dein Hund nicht motiviert, sondern manipuliert. Als würde das Futter den Wert des Verhaltens mindern. Als wäre freundliches Arbeiten weniger ehrlich, weniger wert, weniger korrekt.


Aber: Ja, er macht’s fürs Leckerli.


Und das ist völlig okay. Denn: Wofür soll er’s denn sonst machen?

Wir alle arbeiten für irgendeine Form von „Bezahlung“ – Sicherheit, Zugehörigkeit, Wertschätzung oder ganz konkret: Geld. Der Hund bekommt halt Futter. Oder Spiel. Oder Nähe - halt einen Lohn, den er entsprechend Belohnend empfindet.

Und genau da fängt’s an, spannend zu werden.


Nur ein bisschen blocken – das kann er schon aushalten, er weiß ja, wie man es umgeht.


In vielen Trainingssituationen höre ich Sätze wie:


„Ich hab ihn nur kurz räumlich begrenzt.“

„Ich hab ja nur leicht an der Leine geruckt.“

„Er muss ja auch lernen, was falsch ist.“


Und Abschließend: Wenn er dann gut reagiert, belohne ich das ja auch wieder.

Aber genau hier wird es heikel. Denn jede Korrektur, selbst eine vermeintlich harmlose, verändert die emotionale Bedeutung der Situation. Sie kann aus einem Moment der Orientierung einen Moment der Unsicherheit machen. Aus Kooperation wird plötzlich ein Konflikt.


Beispiel:

Du willst Leinenführigkeit üben. Dein Hund läuft schön an deiner Seite, du belohnst – alles läuft gut. Dann macht er einen Fehler, geht zu weit vor – du machst einen kleinen Leinenruck, blockst mit dem Bein von vorne. Was passiert?


  • Ein Hund zeigt Meideverhalten

  • Ein anderer erschrickt

  • Der dritte friert ein, wird langsamer, duckt sich leicht ab


  • Die Verbindung zu dir bekommt einen Knacks.

  • Das Leckerli verliert an Bedeutung.

  • Die „Arbeitsatmosphäre“ kippt – wie bei einem schlechten Chef.


 „Nur ein bisschen blocken“ ist ein Vertrauensverlust in Raten


Bein vorstellen, Leinenimpulse oder Körpersprache gegen den Hund werden oft als „nicht schlimm“ empfunden. Aber für viele Hunde ist es genau das:



  • ein Schreckmoment,

  • ein Anflug von Unsicherheit,

  • oder der stille Start einer Passivität, die als Gehorsam gelesen wird.


Und wenn das öfter passiert, sinkt die Lernbereitschaft. Dann funktioniert der Hund – aber fühlt sich nicht wohl. Und das merkt man. Im Blick. Im Gang. Im ganzen Miteinander.


Blocken und Leckerli? – Warum deine Belohnung nur so viel wert ist wie der Moment, in dem du sie gibst...


🎯 Verhalten kann man nicht isoliert verstärken – die Stimmung zählt mit

Wenn dein Hund gerade orientiert bei dir läuft und du ihn dafür belohnst, soll es für den Hund als Fazit ein lohnenswertes, angenehmes Verhalten aufbauen, welches der Hund in Zukunft aus diesen Gründen gerne zeigt.

Doch wenn du Sekunden vorher blockiert, geruckt oder verärgert reagiert hast, kann das Leckerli nicht mehr tun, was es soll.

Es ist dann kein „Super, weiter so!“ – sondern eher:

„Okay… war das jetzt richtig? Ich fühl mich aber grad nicht sicher...“

Die Belohnung verliert ihren Wert.

Nicht, weil das Futter schlecht ist –sondern weil der Moment drum herum nicht mehr nach Kooperation, sondern nach Korrektur schmeckt.

 

💼 Du gehst zur Arbeit – nur fürs Geld

Du stehst morgens auf, schleppst dich zur Arbeit, weil du weißt:

„Ich brauch das Gehalt.“

Aber dein Chef ist unfreundlich, kontrollierend, kritisiert dich bei jedem Fehler. Du fühlst dich nicht gesehen, nicht sicher, nicht verstanden. Du tust, was du musst – aber nicht mehr. Du lernst nichts dazu, gehst keine Extrameile, und: du freust dich auch nicht aufs Geld.

Denn Geld ist zwar die „Belohnung“ –aber sie fühlt sich hohl an, weil das Drumherum mies ist. Genau so geht’s vielen Hunden im Training, wenn wir glauben,

„Ein Leckerli macht’s wieder gut.“

Mal ganz abgesehen davon, dass wir wohl, wie schon erwähnt, erstrecht nicht ohne Geld arbeiten würden.

 

Belohnung ist Beziehung. Keine Reparatur.

Ein Leckerli nach einem unsicheren Moment ist wie ein Blumenstrauß nach einem blöden Streit:


  • besser als nichts

  • aber es repariert nicht das Gefühl, das vorher verletzt wurde


Wenn du möchtest, dass dein Hund gerne bei dir bleibt – dass Leinenführigkeit nicht nur „funktioniert“, sondern Verbindung schafft – dann frag dich nicht nur:

„Hat er das richtig gemacht?“ Sondern auch:„Wie hat er sich dabei gefühlt?“ 

Denn seien wir ehrlich:

Auch Menschen arbeiten manchmal nur für’s Geld. Aber wenn du ständig das Gefühl hast,

  • unter Beobachtung zu stehen,

  • jederzeit für einen Fehler gerügt zu werden,

  • dass man dich nicht versteht oder dir nicht zutraut, das Richtige zu wollen …

Dann gibst du nicht dein Bestes. Dann machst du das Nötigste. Dann freust du dich nicht auf deinen Job – du überstehst ihn.

Und genauso kann es einem Hund gehen:

Er nimmt das Leckerli. Aber er fühlt sich nicht gesehen. Nicht sicher. Nicht frei.Und dann ist Motivation keine Freude mehr, sondern ein Schutzmechanismus. Manche Hunden nehmen ohne die entsprechende emotionale Stabilittät auch nur mäckelig oder gar kein Futter mehr an.

 

Vertrauen ist kein Bonus – es ist die Basis.

Wenn wir echte Kooperation wollen – nicht bloßen Gehorsam –dann braucht es mehr als Technik. Dann braucht es eine Atmosphäre, in der Fehler kein Drama sind, in der Lernen sich lohnt und in der der Mensch nicht zur Quelle von Unsicherheit wird.


"Und wenn mein Hund auf die Straße rennt, dann lasse ich ihn einfach, weil ich darf ja nicht blocken?" Die Laissez-Faire Unterstellung


⚖️ Training vs. Notfall – und wann Eingreifen absolut richtig ist

All das bedeutet nicht:

„Du darfst nie blocken, nie rucken, nie unterbrechen.“

Es bedeutet:

„Unterscheide bewusst zwischen Training und akuter Gefahrensituation.“

 

🚨 In diesen Situationen ist klares Eingreifen notwendig:

  • Dein Hund rennt auf die Straße –

    Körpereinsatz, Leinenruck – alles ist erlaubt, was schützt.

  • Eine Hundebegegnung droht zu eskalieren –

    Blockieren, Leine kurz nehmen, ruhig deeskalieren (Bitte aufpassen, dass es euch nicht am Ende selbst erwischt)

  • Dein Hund frisst etwas Unbekanntes oder Giftiges –

    Körperspannung, Wegziehen, Wegdrücken


Der Unterschied ist: Notbremse ≠ Trainingsmethode

In solchen Situationen geht es nicht um Lernen. Es geht um:



  • Schutz,

  • Verantwortung,

  • Sicherheit.


Im Training willst du etwas aufbauen. Im Notfall willst du etwas verhindern.

Das eine braucht Zeit, Ruhe und Wiederholung. Das andere braucht Klarheit und Handlung – sofort.

 

Warum Leinenführigkeit nichts mit „Chefsein“ zu tun hat


Noch immer hält sich die Vorstellung, dass ein Hund, der an der Leine zieht, „dominant“ ist, „die Führung übernehmen will“ oder seinen Menschen „testen“ möchte.

Aber mal ehrlich: Warum sollte ein Hund, der einfach los will, gleich ein Machtproblem haben?

Die Wahrheit ist deutlich einfacher – und gleichzeitig viel komplexer. Einer der Gründe, warum viele es sich eben leicht machen - denn einfach zu sagen "Der ist Ungehorsam und muss mal gezeigt bekommen wie es läuft." bedarf weniger Finesse und schiebt den "Fehler" einzig und allein auf den Hund.


Hunde ziehen nicht, weil sie „Chef spielen“ wollen.

Sie ziehen, weil sie irgendwo hinwollen. Weil sie aufgeregt sind. Weil sie neugierig oder gestresst sind. Oder weil sie schlicht noch nie gelernt haben, dass Leinenführigkeit überhaupt ein Konzept ist, das wir uns so ausgedacht haben.

Denn aus Hundesicht ergibt es null Sinn:


  • Warum darf ich nicht dahin, wo ich will?

  • Warum geht mein Mensch so langsam?

  • Warum will der, dass das Seil hier durchhängt?


Ein Hund, der zieht, ist meist kein Problemhund, sondern ein Hund, der mit seinem Erregungslevel, seinem Lernstand oder seiner Umwelt gerade nicht klar kommt. Und das hat nichts mit „Rangordnung“, „Chefrolle“ oder „Respektlosigkeit“ zu tun.

Im Gegenteil: Wenn wir aufhören, in solchen Kategorien zu denken, können wir anfangen, wirklich zu verstehen, was unser Hund gerade braucht – und wie wir ihm helfen können, ruhig und gerne bei uns zu bleiben. Und wie zielführend Kleinschrittigkeit im Training ist.


❤️ Fazit:

Belohnungen wirken nur dann nachhaltig, wenn sie sich auch wie echte Belohnungen anfühlen – und nicht im Schatten von Korrektur, Druck oder Kontrolle stehen.

Ein Hund, der Angst hat, etwas falsch zu machen, wird vielleicht funktionieren – aber nicht frei, mitdenkend und motiviert. Dann verliert selbst das beste Leckerli an Wert.

Denn Motivation braucht mehr als Futter: Sie braucht Sicherheit, Raum, Klarheit und Wertschätzung.

Manchmal ist der größte Trainingsfortschritt, wenn dein Hund denkt: „Bei dir bin ich sicher – und es lohnt sich, mit dir zu arbeiten.“ Das ist ein super starkes Fundament für jedes Training! ❤️

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